Erfindung der Funkuhr

Der Erfinder der Funkuhr
„Mit dem letzten Ton des Zeitzeichens ist es 12:00 Uhr Piep, Piep, Piep, Piep, Piep, Piep“.

Das war der Stand der Technik, mit dem die Synchronisation von Uhren in Privathaushalten auf die Mitteleuropäische Zeit durch die deutschen Rundfunkanstalten erfolgte, als Wolfgang Hilberg im Jahr 1967 sein Schlüsselpatent „Verfahren zur laufenden Übermittlung der Uhrzeit“ beim Deutschen Patentamt München registrieren ließ. Bis dahin gab es mechanische Uhren, z. B. an Kirchtürmen, deren Zeitsignal sich bestenfalls an der astronomischen, von der Erdrotation abgeleiteten Zeit orientierte. In neuerer Zeit wurde die Referenzzeit mithilfe portabler (Präzisions)Uhren oder gestützt auf Stellimpulse über Telekommunikationsnetze an die öffentlichen Zeitsendestellen (Rundfunksender, Kirchturm), Zeitanzeigen (Bahnhofsuhr) usw. transportiert.

Die Idee der Zeitübertragung per Funk findet man in einem Beitrag aus dem Jahr 1899 von Sir Howard Grubb in der Zeitschrift „Scientific Proceedings for the Royal Dublin Society“ unter dem Titel „Proposal for the Utilisation of the ‘Marconi’ System of Wireless Telegraphy for the Control of Public and Other Clocks“. Allerdings gab er keinerlei Anweisung zum technischen Handeln.

Die technische Umsetzung dieser Idee erfolgte in vielen kleinen Schritten, die einerseits aus den wachsenden Ansprüchen an die Genauigkeit und Aktualität des Zeitsignals, andererseits aus dem technischen Fortschritt beim Aufbau von Sendern und Empfängern sowie der digitalen Signalverarbeitung resultierten. Erste deutsche Patente für technische Systeme zur Zeitübertragung über Funk stammen aus dem ersten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts. Von der Idee bis zur Realisierung einer robusten technischen Lösung zur kontinuierlichen Funkübertragung von Uhrzeit, Datum, Wochentag usw. mit ausreichender Genauigkeit vergingen jedoch etwa 75 Jahre.

Hilberg schaffte den entscheidenden Durchbruch, der einen langen Entwicklungsprozess mit einer für viele Anwendungsbereiche endgültigen Lösung krönen sollte: Alle terrestrischen Zeitzeichensender benutzen seine Erfindung, weshalb ihm vom Vorstand der Eduard Rhein Stiftung, entsprechend dem Vorschlag des Kuratoriums, der Technologiepreis 2011 zuerkannt wird.

„Für die Erfindung der kontinuierlichen, digital codierten Normalzeit Funkübertragung und für Beiträge zur Realisierung von Funkuhrempfängern.“

Schon vor Hilberg haben seit 1899 andere Erfinder Verfahren zur Übermittlung der Uhrzeit über Funk entwickelt, die deshalb unbefriedigend – und letztlich erfolglos – waren, weil die Uhrzeit nur zu bestimmten Tageszeiten verfügbar war oder weil die Uhrzeit durch kontinuierlich übertragene Zeitimpulse aktualisiert wurde, die lückenlos vom Empfänger detektiert werden mussten, um jeweils das Uhrwerk des Empfängers fortzuschalten. Da atmosphärische und technische Störungen den Empfang einzelner solcher Signale beeinträchtigen, gehen diese Funkuhren mit unbekanntem Fehler nach.

Diese wesentliche Schwäche wird in Hilbergs Erfindung beseitigt, indem in unmittelbar aufeinanderfolgenden, kurzen Grundintervallen, z. B. Minuten, die vollständige Information der gerade bestehenden Zeit – also Jahr, Monat, Wochentag, Stunde, Minute – in einem Zeittelegramm mit einem binären Impulscode gesendet wird. Das Sekundensignal wird aus der Trägerfrequenz des Zeitzeichensenders bzw. den im Zeittelegramm übertragenen Sekundenimpulsen gewonnen. Hilberg verzichtet auf ein Uhrwerk im Zeitempfänger, der lediglich Einrichtungen zum Dekodieren und zur Anzeige der jeweils aktuellen, dekodierten Zeitsignale enthält. Der Empfänger wartet nach dem Einschalten, bis das vollständige Zeittelegramm empfangen wurde.

Bei schlechten Empfangsverhältnissen kann das lange dauern oder es kann auch gar nicht zu einer Anzeige kommen. Um langes Warten zu vermeiden, zeigt der Empfänger gleich die Qualität des empfangenen Signals an, um den Benutzer ggf. zu motivieren, den Standort der Funkuhr zu wechseln.

Heutige Funkuhren enthalten eine autonom arbeitende Quarzuhr, die nach einer Variante des ursprünglichen Patentes im getasteten Betrieb auf die Funkuhrsignale synchronisiert. Dabei wird eine Batterielebensdauer von mehreren Jahren erreicht.

Es gibt auf der Welt mehrere auf Langwelle (mit einer Reichweite von bis zu 2000 km) übertragende Zeitzeichen- bzw. Normalfrequenzsender nach deutschem Vorbild, z. B. in Großbritannien, Russland, USA, Japan, China, ebenso sehr viele auf Mittelwelle übertragende Sender. Der deutsche Zeitzeichensender (DCF 77) benutzt seit 1972 die von Hilberg vorgeschlagene Zeit- und Datumscodierung, die anderen Sender verwenden sehr ähnliche binäre Codierungen.

Das „Gesetz über die Zeitbestimmung (Zeitgesetz)“ war für die Einführung der Hilberg Funkuhr in Deutschland förderlich. Es beauftragt 1978 die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) zu verbreiten. Hilberg tat sein bestes, die Industrie zum Bau von Funkuhren zu animieren und entwickelte verschiedene Prototypen. Aber erst nachdem sein Grundlagenpatent abgelaufen war, begann die Industrie mit der Serienfertigung. Seine Erfindung war seiner Zeit zu weit voraus. Die Zahl der im Markt befindlichen Funkuhren wird auf über 100 Mio. Stück geschätzt.

Neben Funkuhren wurden seit den 70-iger Jahren satellitengestützte Funksysteme für die hochgenaue Ortung mobiler Objekte entwickelt, die auch hochgenaue Zeitinformation verfügbar machen wie z. B. das Global Positioning System (GPS) und verwandte Systeme wie Glonass und Galileo. Die Empfänger müssen aufgrund des sehr schwachen Signals Sichtkontakt zu mehreren (mindestens 4) Satelliten haben. Sie können die Zeitanzeige nur synchronisieren, wenn sie außerhalb von Gebäuden sind. Im Unterschied zum schmalbandig übertragenen Funkuhrsignal verwenden die Satellitensysteme Breitbandsignale. Ihre Signalverarbeitung im Empfänger ist aufwendiger und erfordert deutlich mehr Batterieleistung als ein Funkuhrempfänger. Auch deshalb haben sich Funkuhren auf Basis von Satellitensignalen tendenziell nur in Anwendungen durchgesetzt, bei denen ein leistungsfähiger Akku als Energiequelle verfügbar ist, z. B. bei Navigatoren.

Atomuhren können weltweit Zeitskalen halten, die sich nur um wenige Mikrosekunden unterscheiden. Die Verteilung dieser Normalzeit über Satelliten und Funkuhren gehört zum Lebensalltag. Neben dem Wunsch für viele Anwendungen in Wissenschaft und Technik, zeitliche Vorgänge hoch genau ausmessen bzw. datieren zu können, besteht das Interesse, Atomuhr- Funksignale mit einfachen Geräten zu empfangen, um Funkuhren betreiben zu können. Die erforderliche Genauigkeit liegt im Bereich von 0,1 sec bei Gebrauchsuhren. Mit erhöhtem technischen Aufwand kann die Genauigkeit bis zu 0,1 Mikrosekunden getrieben werden, wie das z. B. aufgrund der beim Sender DCF 77 der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) angewandten pseudo-zufälligen Phasenumtastung des amplitudenmodulierten Zeitsignals möglich ist. Der Sender überträgt seit 1972 zeitweise und seit 1977 kontinuierlich mit 50 kW Sendeleistung in einer Bandbreite von 1,7 kHz bei 77,5 kHz jede Minute ein in Amplitude und Pulsdauer moduliertes Zeittelegramm mit 45 bit/s Übertragungsrate.

Prof. Dr.-Ing. Bernhard Walke
ComNets
RWTH Aachen