Für sein Engagement als Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Technik, Politik und Gesellschaft
Bertrand Piccard ist in einer Familie aufgewachsen, in der es Tradition war, das Unmögliche möglich zu machen. Sein Großvater Auguste Piccard stieß als erster Mensch in die Stratosphäre der Erde vor und erreiche im Mai 1931 mit einem Ballon eine Höhe von 15.781 Metern. Bertrands Vater Jacques Piccard zog es hingegen in die Tiefe. Im Januar 1960 tauchte er mit der „Trieste“ 10.916 Meter hinab in den Marianengraben.
Bertrand Piccard wiederum überschritt die Grenzen des Machbaren wie sein Großvater in den Lüften unseres Planeten. 1999 umrundete er als Erster die Erde nonstop mit einem Ballon. Und von März 2015 bis Juli 2016 flog er mit dem ausschließlich von Sonnenlicht angetriebenem Flugzeug „Solar Impulse 2“ in Etappen einmal um die ganze Welt.
Technischer Fortschritt ist nicht denkbar ohne jene Menschen, die wie Piccard bis an die Grenze des Möglichen gehen, um sie dann zu überschreiten. Nicht immer sind es Wissenschaftler und Ingenieure, die Tore zu neuen Technologien aufstoßen. Es können auch hoch motivierte Abenteurer wie der Schweizer Bertrand Piccard sein.
Den Planeten Erde in einem solarangetriebenen Flugzeug zu umrunden, war eine Vision für die Piccard zunächst Skepsis und sogar Spott erntete. In jahrelanger Entwicklungsarbeit gelang es seinem Ingenieurteam jedoch, die für die Verwirklichung des Traums notwendigen Technologien zu entwickeln. Es musste dafür in mancher Hinsicht ans Limit gehen: extremer Leichtbau mit Faserverbundwerkstoffen, Elektromotoren mit unglaublichen 97 Prozent Wirkungsgrad, riesige Flächen mit sehr leistungsfähigen Solarzellen sowie strömungstechnische Optimierungen. Viele der im Rahmen dieses Projekts entwickelten oder optimierten Technologien lassen sich derweil auch anderweitig nutzen – etwa für extrem energieeffiziente Elektromotoren in Autos. Doch mindestens ebenso wichtig wie die technischen Innovationen war beim Solar-Impulse-Projekt, dass der charismatische Piccard mit seinem Rekordflug Millionen von Menschen begeisterte und inspirierte. So kreierte er Mut für das Beschreiten neuer technologischer Wege zur nachhaltigen Nutzung von Energie – und das nicht nur in der Luftfahrt.
„Ja, meine Mission ist eine politische“, sagte Piccard einmal in einem Interview, „es geht mir um die Änderung der Energiepolitik. Ich spreche mit Staatsoberhäuptern, Regierungschefs, Ministern und UN-Vertretern. Meine Botschaft ist, dass wir unsere Einstellung zum Klimawandel ändern müssen.“ Mehrfach nahm Piccard am World Economic Forum in Davos teil, um Politikern und Wirtschaftslenkern aus aller Welt seine Botschaft zu vermitteln. Und so ist Piccard nicht nur Visionär, Abenteurer und Technik-Pionier; er ist auch ein ambitionierter und unermüdlicher Kommunikator, dem es gelingt, sein Engagement gegen den Klimawandel und für erneuerbare Energien mit positiven Emotionen zu verbinden. So ist Piccard erfolgreicher Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Technik, Politik, Wirtschaft und einer breiten Öffentlichkeit. Seine Stimme hat Gewicht.
Die abstrakten Debatten über den Klimawandel und seiner Bewältigung bleiben oft in ideologischen Gräben stecken. Sie zu überwinden, ist ein Ziel Piccards, das er mit außergewöhnlichem Kommunikationstalent angeht. Er spricht die Sprache der Hoffnung, der Möglichkeiten und des Aufbruchs, nicht die Sprache des Verzichts. Mit Leidenschaft tritt er in internationalen Foren auf und überzeugt Entscheidungsträger ebenso wie die breite Öffentlichkeit, dass viele Technologien für erneuerbare Energie bereits marktreif sind. Dabei gelingt es ihm, in den Köpfen der Menschen Bilder zu verankern: etwa das lautlos über den Wolken schwebende Flugzeug, das zum Sinnbild dafür wird, dass die Energie der Sonne nicht nur Lampen zum Leuchten bringen kann.
Die Weltrumrundung mit der „Solar Impulse 2“ war also nicht nur eine technologische Meisterleistung, sondern nicht zuletzt ein umweltpolitisches und kommunikatives Projekt. Piccard wollte der ganzen Welt zeigen, dass sich mit erneuerbaren Energien viel mehr erreichen lässt als bislang gedacht. So gründete Piccard 2017 die „Word Alliance for Efficient Solutions“, die zwei Jahre später in „Solar Impulse Foundation“ umbenannt wurde. Piccard setzte sich mit dieser Stiftung das Ziel, 1000 saubere und effiziente Lösungen gegen die Klimakrise zu präsentieren. Das ehrgeizige Ziel wurde bereits 2021 erreicht und mittlerweile liegen mehr als 1600 Vorschläge auf dem Tisch, die sich nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich rentabel umsetzen lassen.
Sein nächstes großes Ziel hat Piccard 2024 verkündet. Er will als Erster die Welt nonstop in einem mit Wasserstoff angetriebenen Flugzeug umrunden. Damit möchte er, so seine Worte, ein Zeichen gegen „Pessimismus und Untätigkeit in Sachen Umweltschutz“ setzen. Wenn alles nach Plan läuft, soll die „Climate Impulse“ 2028 abheben. Von zwischenzeitlichen Fehlschlägen, die es auch bei früheren Projekten immer wieder gegeben hat, lässt sich Piccard jedenfalls nicht entmutigen. Sein Rezept für den Erfolg lautet: „Man muss etwas einmal mehr versuchen als die Anzahl der Misserfolge“.
Jenseits von Technologie und Klimaschutz engagiert sich der gelernte Arzt und Psychiater Piccard auch bei medizinischen Hilfsprojekten. Im Jahr 2000 war er an der Gründung der Stiftung „Winds of Hope“ beteiligt, die sich unter anderem für den Kampf gegen die wenig bekannte Krankheit Noma einsetzt. Noma, auch Wangenbrand genannt, wird von Bakterien verursacht. Besonders häufig sind Kinder in Entwicklungsländern betroffen.
Bertrand Piccard hat bewiesen, dass Visionen keine Grenzen kennen. Er ist ein Botschafter der Zuversicht und erinnert uns daran, dass jede große Transformation mit einer Vision beginnt – und der Fähigkeit, sie furchtlos und klar zu kommunizieren. Das oft gehörte Argument „Geht nicht“ lässt Piccard nicht gelten. Seine Botschaft lautet vielmehr: „Strengt euch gefälligst an, nur dann habt ihr eine Chance, große Ziele zu erreichen“.
Letztlich verdanken wir es Technik-Pionieren wie Piccard, dass wir perspektivisch in einer besseren Welt werden leben können. Dafür, sowie in Würdigung seines einzigartigen und unermüdlichen Engagements als Kommunikator und Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zeichnet die Eduard-Rhein-Stiftung Bertrand Piccard mit dem Kulturpreis 2025 aus.
Dr. Norbert Lossau