Für die Entwicklung der Scherwellenelastographie zur präzisen, nichtinvasiven Krebsdiagnostik

Bekanntermaßen gibt es Schall, den wir nicht hören können: wir nennen ihn Ultraschall. Die Geschichte des Ultraschalls reicht mehr als zwei Jahrhunderte zurück und beginnt mit dem Studium des Schalls in der Natur. Im Jahr 1794 beobachtete der italienische Wissenschaftler Lazzaro Spallanzani, wie Fledermäuse sich mithilfe von Schallwellen orientieren – damit war das Konzept der Echolokation entdeckt, die den Grundstein für zukünftige Entwicklungen legte. Ein Jahrhundert später entdeckten Pierre und Jacques Curie im Jahr 1880 den piezoelektrischen Effekt – die Fähigkeit bestimmter Kristalle, eine elektrische Ladung zu erzeugen, wenn sie mechanischem Stress ausgesetzt sind, und umgekehrt. Dieser Durchbruch war entscheidend, da er es ermöglichte, Schallwellen sowohl zu erzeugen als auch zu detektieren und somit den Weg für eine praktisch umsetzbare Ultraschalltechnologie ebnete.

Im frühen 20. Jahrhundert wurden Schallwellen auf neue Weise angewendet, insbesondere während des Ersten Weltkriegs, als das sog. Sonar („Sound Navigation and Ranging“) entwickelt wurde, um U-Boote unter Wasser zu erkennen. Diese militärische Innovation verdeutlichte das Potenzial von Schall für bildgebende Verfahren und inspirierte die Wissenschaft dazu, die Technologie auch für medizinische Anwendungen zu erproben. Ende der 1940er Jahre war der österreichische Neurologe Karl Dussik einer der ersten, der Ultraschall in einem medizinischen Kontext einsetzte und versuchte, das menschliche Gehirn sichtbar zu machen.

In den 1950er Jahren wurden weitere Fortschritte vom schottischen Arzt Ian Donald erzielt, der die Anwendung des Ultraschalls in der Geburtshilfe und Gynäkologie vorantrieb und seinen Wert zur Untersuchung von Schwangerschaften demonstrierte.

Die 1960er und 1970er Jahre waren geprägt von der Entwicklung von Echtzeitbildern, insbesondere von Doppler-Ultraschall und B-Scans, die es ermöglichten, bewegte Bilder des Blutflusses und innerer Organe anstelle statischer Scans zu erzeugen. Dies machte Ultraschall in klinischen Umgebungen wesentlich praktischer und zuverlässiger. Ab den 1980er Jahren führten rasante Fortschritte in der Digitalelektronik zu einer Verbesserung der Bildqualität und machten Ultraschall zu einem Standarddiagnosetool in Bereichen wie Pränatalversorgung sowie Kardiologie und abdominaler Medizin.

Gleichwohl blieb die Beurteilung sowie die zuverlässige Diagnostik von Krebs in Weich­geweben ohne Biopsie eine schwierige Aufgabe. Eine mögliche Lösung war die funktionelle Ultraschallbildgebung, insbesondere die Scherwellenelastographie (SWE). Dies ist eine Bild­gebungstechnik zur Messung der Gewebesteifigkeit – insbesondere bei Organen wie Leber, Brustdrüse, Prostata oder Schilddrüse – durch Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit transversaler Scherwellen. Die Scherwellenelastographie wird mittlerweile routinemäßig zur frühzeitigen Erkennung von Tumoren, Fibrosen oder Entzündungen im Weichgewebe eingesetzt.

Während herkömmliche Methoden einzelne fokussierte Pulse verwenden, die in den Körper eindringen und an Gewebeinhomogenitäten reflektiert werden, lässt sich mit dem von den Preisträgern entwickelten „Supersonic Shear Imaging“ (SSI)-Verfahren durch geschickte Phasensteuerung der Piezo-Transducer eine transversale Stoßfront erzeugen. Dies ermöglicht es, präzise und schnell Tiefeninformationen aufzunehmen. Aufgrund der extrem hohen Bild­rate (>10.000 fps) kann das SSI-Verfahren im Gegensatz zu traditionelleren SWE-Methoden hochauflösende großflächige 2D-Elastogramme (2D-Farbkarten zur Elastizität) in Echtzeit darstellen.

Der SSI-Prozess wurde von den Preisträgern entwickelt und patentiert. Über das Start-up Supersonic Imagine haben sie es seit 2009 weltweit vertrieben; bis Ende 2020 waren etwa 3.000 Aixplorer-Systeme installiert worden. Die Scherwellenelastographie wird inzwischen in ähnlicher Form auch in den Ultraschallgeräten fast aller etablierten Hersteller eingesetzt.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr. med. Dr. h. c. Steffen Leonhardt